Meine Patientenverfügung und wieso ich nicht um jeden Preis leben will

Hast Du dir schon mal Gedanken dazu gemacht, was mit dir passieren soll, wenn Du durch einen Unfall, eine Op oder schwere Erkrankung in Not gerätst und dein Leben am seidenen Faden hängt? Sollen die Ärzte und Rettungskräfte alles tun, was in ihrer Macht steht und dich zur Not künstlich am Leben halten? Oder sagst Du, Du willst nicht zur Matschkartoffel werden und Jahrzehnte vor dich hinsiechen?

Die Frage habe ich mir bereits vor über 10 Jahren gestellt. Damals, als ich den ersten schweren Schub meiner psychischen Erkrankungen hatte, habe ich für mich entschieden, dass ich nicht um jeden Preis am Leben gehalten werden will. Damals habe ich meine erste Patientenverfügung erstellt, nur war diese damals nicht gültig, da ich noch Minderjährig war. Über die Jahre und besonders mit einsetzen der Volljährigkeit, habe ich regelmäßig meine Verfügungen aktualisiert und überdacht.

Viele Jahre war für mich klar: Sehen die Ärzte eine Chance auf ein „normales“ Leben ohne schwerste Behinderungen, egal ob geistiger oder körperlicher Natur, so sollen sie tun, was zu tun ist. Mich reanimieren, mich künstlich beatmen, ernähren, …
Ich wollte nicht um jeden Preis am Leben gehalten werden, aber auch nicht sterben, wenn es eine Chance auf‘s Leben gibt.

Irgendwann habe ich meine Sicht auf die Dinge geändert. Radikal.

Ich wünsche keinerlei Lebenserhaltende Maßnahmen.

Keine Reanimation, keine Beatmung, keine Ernährung, nichts. Einzig eine Schmerztherapie dulde ich, um nicht in der letzten Zeit auch noch leiden zu müssen.


Diese Sicht habe ich 2017 zum Ausdruck gebracht, als ich das erste Mal in meinem Leben, meine Familie als Bevollmächtigte unterschreiben lassen habe. Jede Verfügung zuvor war von mir unterschrieben und auch auf die Familie ausgestellt, aber nie von dieser unterschrieben worden. Ich hatte im Organspendeausweis immer die Notiz, dass es die Unterlagen gibt, damit es nicht heißen würde: Aber es wusste doch niemand davon.

Heute habe ich die Unterlagen erneut unterschrieben. Überall steht ein neues Datum und eine erneute Unterschrift, über oder unter der alten Unterschrift. Einmal mehr habe ich bekräftigt, dass dies mein Wille ist.
Wieso ich das ausgerechnet heute getan habe?
Im Zuge der Op-Aufklärung kam in einem Fragebogen für die Anästhesie, die Frage, ob es Verfügungen gibt. Da ich diese angegeben habe, musste ich sie nun raussuchen um sie morgen mit in die Klinik zunehmen. Um auf Nummer sicher zu gehen, habe ich sie mir nochmal durchgelesen und erneut unterzeichnet. So weiß auch jeder, dass es mir Ernst um diese Angaben ist.

Für viele, gerade jüngeren Alters, ist dies nicht nachzuvollziehen. Viele Menschen um mich herum haben noch nicht mal solche Verfügungen, geschweige denn, dass sie mal drüber geredet haben, was sie sich wünschen würden. Ich habe Freunde, die mir ins Gesicht sagten: „Ich will mich damit nicht beschäftigen. Ich finde das ein so trauriges Thema.“ Ich wünsche diesen Menschen, dass sie ihren Familien so sehr vertrauen, dass diese für sie entscheiden könnten. Für mich und meine Familie war das nie so klar. Ich war mir nie sicher, ob sie in meinem Sinne entscheiden würden. So war es für mich also auch immer klar, diese Sachen selbst in die Hand zu nehmen, zu entscheiden, festzuhalten und auch drüber zu reden.
Meine beste Freundin hat von mir definitiv schon mal gehört, dass ich nicht um jeden Preis am Leben gehalten werden möchte. Vor allem aber weiß sie, dass es die Verfügungen gibt. Ein Mensch mehr, der im Zweifel sagen könnte: „Marie hat alles geregelt.“

Wieso möchte ich keinerlei Lebenserhaltende Maßnahmen?

Ich werde in wenigen Wochen 26 Jahre alt. Gleichzeitig bin ich mittlerweile über 13 Jahre psychisch erkrankt. Vor über 13 Jahren haben sich die ersten Symptome entwickelt. Heißt am Ende des Tages nichts anderes als: Über die Hälfte meines Lebens muss ich gegen die Dämonen meiner Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft kämpfen. Über die Hälfte meines Lebens lebe ich ein nicht wirklich altersgerechtes Leben. Meine erste Liebe war, glaube ich, das einzige, was normal an mir war. Ich habe keine wirkliche Jugend erlebt, denn zu der Zeit habe ich das erste Mal gegen Suizidgedanken gekämpft und war in der Psychiatrie. Als ich 18 wurde, stand ich nicht vor der Frage: Was willste jetzt nach der Schule machen? Ich war schon 3 Jahre aus der Schule raus, hatte keinen Schulabschluss und habe durch Zufall einen Job gefunden für den ich mich selbstständig gemacht habe. Mit 18 musste ich mein Freiberuflerleben organisieren, während andere durch die Welt reisten, oder sich Gedanken machten, was sie nun studieren sollen. Mit 25 Jahren stand ich auf eigenen Beinen, war von niemandem abhängig und kam zum ersten Mal so richtig mit dem Leben klar… und dann kam Corona und nahm mir wieder alles weg.

Dazwischen liegen unzählige Tage, an denen ich mich auf viele erdenkliche Arten und Weisen selbstverletzt habe. An denen ich bewusst gehungert habe. An denen ich alles greifbare an Essen in mich gestopft habe. Tage, an denen ich heulend im Zimmer lag und keine Luft mehr bekam, weil ich wieder eine Panikattacke hatte. Tage, an denen ich auf der Autobahn bei 150km/h überlegt habe, einfach das Lenkrad loszulassen. An denen ich nicht über eine Brücke gehen konnte, ohne nicht den Gedanken zu haben, hinunter zu springen. Und die Tage, an denen ich mir versucht habe die Pulsadern aufzuschneiden. Tage, an denen ich mit meinem Leben abgeschlossen habe.

Gerade erst, vor zwei Wochen etwa, telefonierte ich mit meiner Mutter und irgendwann brach es aus mir heraus, wie sehr ich die aktuelle Situation hasse. Aber vor allem, dass ich nicht verstehe, wieso ich immer und immer wieder in meinem Leben kämpfen muss. „Ich habe genau das gleiche schon zu Bekannten gesagt. Ich verstehe nicht, wieso dich das eigentlich immer alles so trifft. Wieso Du immer so viele kämpfen musst und es nicht mal einfach haben kannst.“ Das sagte meine Mutter zu mir. Die Frau, die mich 25 Jahre in diesem Drama erlebt hat. Die viel auch mit an diesem Drama Schuld hat. Aber selbst sie sieht, dass es ganz schön auffällig ist, wie viel ich in meinem Leben kämpfen musste.

„Es gibt eben Menschen, denen fällt das Glück in den Schoß und es gibt die, die für jedes kleine bisschen Glück kämpfen müssen. Aber das sind dann auch die wahren Kämpfer des Lebens.“ Diese und ähnliche Aussagen habe ich schon so oft gehört, ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft. Doch was ist, wenn ich nicht diese „wahre Kämpferin“ sein will? Wenn alles wonach ich mich sehne, ein langweiliges Leben ist?

Ich habe so viel durchgemacht und war an den tiefsten Punkten, die das Leben zu bieten hatte. Ich habe zwei Suizidversuche hinter mir, die niemand mitbekommen hat, bis ich irgendwann davon berichtet habe. Ich habe den Abgrund nicht nur gesehen, ich bin hinein gesprungen. Mich hat nur damals so ein blöder Felsvorsprung davon abgehalten, unten auf den Boden aufzuschlagen.

Klar könnte ich sagen: Ich kann als Vorbild für andere durch die Welt gehen und sagen, dass man das überleben kann und da wieder raus finden kann…hab ich ja oft genug. Aber was ist, wenn ich müde vom kämpfen bin und nicht mehr um jeden Preis kämpfen will?

Wenn ich mir aktiv versuche das Leben zu nehmen und das jemand mitbekommt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich mich in einer Klinik wiederfinde und mir die Kontrolle über mein eigenes Leben abgesprochen wird, vor allem aber andere über mich und mein Leben entscheiden. Etwas, was ich nie wollte und auch weiterhin nicht will. Geht in der Op etwas schief, ich habe einen Unfall oder werde plötzlich schwer krank, so nehmen mir andere Leute die Entscheidung über mein Leben nicht mehr ab, weil ich die Verfügungen habe. Ich habe entschieden, wie ich in solch einem Fall behandelt werden möchte. Diese Entscheidung treffe ich und niemand anderes für mich.

Ich kämpfe jeden Tag gegen meine Dämonen aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft und ich kämpfe jeden Tag gegen die verführerische Dunkelheit, die aus dem Abgrund hoch ruft, dass ich es bei ihr doch so viel besser habe.
Doch in Situationen, in denen ich nichts dazu beigetragen habe, dass sie sind wie sie sind, möchte ich nicht mehr zum kämpfen gezwungen sein. Dann möchte ich einfach in Ruhe und Frieden sterben dürfen.

Nicht dass ich darauf hoffe, dass die Op morgen schief geht.. aber es ist gut zu wissen, dass man im blödesten Falle nicht mehr kämpfen muss, sondern den Kampf ein für alle male beenden kann.

Veröffentlicht von Kleinekaeferin

28. Freiberuflich im Zirkus unterwegs und über die Hälfte ihres Lebens psychisch erkrankt. Bedingt durch das Jahr 2020 geht es vor allem um Corona, meine Endometriose-Diagnose und alles, was sonst so passiert ist. Alle Gedankengänge, die für Instagram zu lang sind, kommen in Zukunft hier hin.

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