Chronisch krank werden (bzw sein) ist ein Lernprozess, wie ich feststellte. Erst lernst du Fakten über deine Erkrankung, dann über den Umgang mit Symptomen. Irgendwann kommt die Frage auf, wie man es seinem Umfeld näherbringt, dass man krank ist, auch wenn Außenstehende es nicht sehen können. Zwischendurch kämpft man dann für Gerechtigkeit im Umgang mit chronisch Kranken. Und dazwischen findet man noch tausend andere (eigentliche) Selbstverständlichkeiten, die es neu zu entdecken und neu zu erlernen gilt.
Ich lerne aktuell wieder einen ganz neuen Aspekt meiner Erkrankung kennen: Selbstständigkeit und chronisch krank sein, verträgt sich nicht. Hätte mir das mal vorher wer gesagt…
Wer meine älteren Beiträge kennt, weiß, dass das Thema Arbeit schon früh in meinem „Heilungsprozess“ aufkam und problematisch war. Ich sage auch weiterhin, dass ich irgendwie Glück hatte, mitten in den Covid-Lockdowns, dreimal stationär gewesen zu sein und auch meine Operationen in genau diesen Zeiten gehabt zu haben. Das hat mir viele Probleme erspart. Normalerweise wäre ich zum Zeitpunkt meines ersten Aufenthaltes, mitten in meiner Hauptsaison gewesen. Ich hätte Projektwoche nach Projektwoche gestemmt und auf den Winter hin gefiebert, wo ich dann die Füße hochgelegt hätte. Da ich nun im Juni 2020 schon drei Monate nicht arbeiten konnte und große Probleme hatte, eine neue Wirkungsstätte zu finden, änderte sich also nicht viel, als meine Gesundheit plötzlich Berg ab ging.
Anfang 2021, Monate nach meinen beiden Operationen kam dann die Angst langsam auf.
Wie soll ich zurück in meinen Job finden? Wie soll ich die körperliche Anstrengung bewerkstelligen? Wie finde ich die richtige Balance zwischen Arbeit und Auszeit?
Und besonders wichtig: Wie verdiene ich genug Geld, ohne mich dabei vollkommen aus dem Leben zu schießen? Tja, was soll ich sagen? Letzteres ist gerade mein aktueller Lernprozess!
Seit Mai gehe ich wieder arbeiten. Erst eine Woche im Monat, dann mal vereinzelte Tage, dann zwei Wochen im Monat und jetzt bin ich plötzlich fast durchgängig unterwegs.
Der Plan war: Langsam ausprobieren, Stück für Stück aufbauen und schauen, was geht und wo die Grenzen liegen. Schien zu Beginn auch zu klappen. Ich bin damit eigentlich von Mai bis September ganz gut zurecht gekommen. Ich hatte nur einen Denkfehler in der ganzen Sache…
Chronische Krankheiten halten sich an keinen Zeitplan und an keine Routine. Die halten sich nicht daran, wenn du sagst: Zwei Wochen im Monat sind super.
Chronische Krankheiten kommen und gehen, wie sie es wollen und auch in der Intensität, die sie wollen.
Ich hab meine Endometriose falsch eingeschätzt. Wobei falsch eingeschätzt, nicht der treffende Begriff dafür ist. Ich hab es eben einfach nicht bedacht. Ich habe überhaupt nicht darüber nach gedacht, dass es sein kann, dass z.B. im Juli, Woche 1 und 3 super sind, Woche 2 und 4, dafür überhaupt nicht gut sind. Dass es dann aber im August vielleicht Woche 2 und 4, die super Wochen sind, wohin gegen es mir dann in Woche 1 und 3 schlecht geht. Ich habe es einfach nicht bedacht.
Die Quittung bekomme ich nun. Seit Anfang Oktober, vielleicht auch Ende September, kriech ich durchgängig auf dem Zahnfleisch. Fragen mich Leute dann, ob ich kürzertreten will, Arbeitstermine absagen mag, oder oder oder, sage ich jedes Mal das Gleiche: „Passt schon. Ich sag schon, wenn’s nicht mehr geht.“
Was soll ich auch anderes sagen? Die Arbeitswelt ist eben nicht darauf ausgelegt, dass man am einen Tag super drauf ist und am anderen Tag vor Schmerzen kaum aus dem Bett kommt. So spontan können heute die wenigsten umplanen. Abgesehen davon: Ich mach Projektwochen. Wochen. Nicht Tage. Ich begleite von Montag bis Freitag/Samstag die Einrichtungen. Das klappt am besten, wenn man eben eine Woche durchgängig das gleiche Team hat und nicht jeden Tag wechselnde Besetzung vor Ort ist. Das weiß ich und merk ich auch selbst oft genug.
Ist also fast kaum machbar, sich mal einen Tag rauszunehmen. Mit Ausnahmen.
Mitte Oktober habe ich mir eine Auszeit genommen. Es ging einfach nicht mehr. Darüber hatte ich bereits berichtet. Und was soll ich anderes sagen als: Es war verdammt richtig und wichtig…nur nicht ausreichend lang genug.
Ich bin nun wieder arbeiten gegangen. Zwei Tage hintereinander, dann zwei Tage „Pause“ (ich hatte Termine und war danach bei den Pferden). Morgen kommt noch ein dritter Tag und dann geht es im Anschluss für’s Wochenende zu einer anderen Wirkungsstätte, bevor ich nächste Woche, ins nächste Projekt starte. Heißt, dass ich jetzt wieder fast zwei Wochen ohne freien Tag arbeite. Meine Termine und die Pferde sind definitiv alles andere als freie Tage gewesen.
Schon an Tag eins habe ich gemerkt: Jup, ich hätte locker noch weitere zwei Wochen Pause gebraucht. Mein Körper und meine Seele waren an Tag eins schon wieder durch. Nun gut, jetzt muss ich auch so ehrlich sein und sagen: Ist auch echt fies, wenn nicht nur die Endometriose voll reinhaut, sondern auch meine mehr oder weniger regelmäßigen, depressiven Episoden mal wieder vorbeischauen. Depressive Verstimmungen zu haben, während der Körper nicht richtig arbeiten will, macht definitiv alles nochmal tausendfach anstrengender als ohnehin schon.
Und hier kommt das Dilemma…
Ich erinnere mich nur zu gut an meinen Kontostand von Anfang des Jahres. Und besonders die fast 20.000€, die mein Vater von März 2020 bis jetzt in mich investiert hat, damit ich nicht ohne Versicherungen und ohne Essen unter der Brücke leben muss, sind unfassbar präsent. Das Covid-Jahr hat ein Trauma hinterlassen. Ich schaue jeden Tag auf meinen Kontostand, weil die Angst geblieben ist, dass ich plötzlich wieder mit tausenden Euro Schulden dastehe. Dass mein bisher mühsam erarbeitetes Geld plötzlich wieder weg ist. In meinem klardenkenden Kopf weiß ich natürlich, dass das nicht mal eben so einfach passiert und die zwei, drei tausend Euro auf dem Konto, halten sich da auch echt wacker seit Monaten. Die Angst ist aber trotzdem irgendwie geblieben, dass ich mein Leben plötzlich wieder nicht allein finanzieren kann.
Hinzu kommt auch, dass ich arbeiten will. Wie gesagt: Zwischen März 2020 und Mai 2021 habe ich nahezu gar nicht gearbeitet. 3 Wochen und einen Tag habe ich arbeiten können. Alles noch vor meinen Operationen. Könnt ihr euch vorstellen, wie der Kopf da durchdreht, wenn er keinen geistigen Input mehr bekommt? Zumal wir zu der Zeit auch noch alle isoliert gelebt haben? Da waren meine Tageshighlights einen Arzt oder meine Familie zu sehen, die ich bis zur Pandemie eigentlich kaum ertragen habe. Sowohl Ärzte, als vor allem auch meine Familie.
Mein Kopf hat schnell kundgetan: Gib mir was zu tun, oder ich drehe durch.
Meine Psyche hat dann kurz drauf quittiert. Die Folge waren diverse depressive Episoden bis hin zu Suizidgedanken. Kommt davon, wenn man den ganzen Tag an nichts anderes mehr denkt als an die Scheiße, in der man ganz tief drin steckt.
Jetzt habe ich also die Angst, finanziell wieder vor die Hunde zu gehen; gepaart mit dem Wissen, dass meine Psyche das alles auch nur ganz schwer mitmacht und dringend was zu tun braucht; in Kombination mit meiner chronischen Erkrankung, die macht was sie will, wann sie es will.
Wie genau finde ich da jetzt eine Work-Life-Balance?
Ich habe das heute bei Instagram in meiner Story gesagt: Wäre ich festangestellt, wäre ich längst krankgeschrieben. Ich hätte wahrscheinlich schon seit 3 Wochen einen Schein und würde auch noch zwei, drei weitere Wochen nicht arbeiten gehen. Bis mein Körper irgendwann wieder mitmachen würde. Aber ich bin halt eben nicht festangestellt, sondern selbstständig. Ich kann mich nicht krankschreiben lassen. Ich kann nur Aufträge absagen und das ist nicht wirklich meine Art. Das mach ich nur, wenn wirklich gar nichts mehr geht, wie z.B. neulich, als ich meinen Arm auf Grund des Hormonimplantat nicht mehr bewegen konnte.
Jetzt sagt der ein oder andere natürlich berechtigterweise: „Dann nimm dir doch wenigstens nach der Arbeit frei von anderen Verpflichtungen, wie den Pferden und co. Leg die Füße hoch und tu nichts.“ Grundsätzlich klingt das nicht dumm, funktioniert aber nicht.
Als ich mir die Pferde und die Stallarbeit gesucht habe, war ich kurz davor wieder in eine depressive Episode zu rutschen. Vielleicht war ich auch schon drin. Grenzen verschwimmen da ganz schnell. Die Verpflichtung regelmäßig mit den Ponies unterwegs zu sein, hat unheimlich geholfen auch überhaupt wieder in Bewegung zu kommen, nach den ganzen Monaten, in denen ich mit den Nachwirkungen der OPs zu kämpfen hatte.
Und auch jetzt merke ich: Würde ich nicht zu den Pferden fahren, würde ich gar nichts mehr für meine Seele tun.
Außerdem hat es auch einen wichtigen Nebeneffekt: Wenn ich bis 15/16 Uhr arbeite und noch um 17Uhr beim Pferd sein muss, dann leg ich mich dementsprechend nicht schon um 17 Uhr auf’s Sofa und penne ein. Wenn ich zuhause bin, erledige ich vielleicht noch etwas Haushalt und penn dann direkt auf dem Sofa ein, weil ich diese Müdig- und Kraftlosigkeit nicht überwinden kann.
So schlaf ich dann oft genug auf dem Sofa ein, wach Stunden später, wenig ausgeruht wieder auf und komm dann nachts nicht mehr in den Schlaf. Folglich bin ich oft bis 3/4 Uhr wach, schlafe etwas und steh dann um 6/7 Uhr auf um zur Arbeit zu fahren. Und zack bin ich im endlosen Kreislauf gefangen. Die Nächte bringen dann keine Erholung mehr und bei der Arbeit fühle ich mich nur müde und kaputt.
Durch die Verpflichtungen überbrück ich wenigstens weitere zwei bis vier Stunden, in denen ich nicht auf dem Sofa einschlafe. Ich sag ja: Teufelskreislauf.
Geh ich nicht zum Pferd, ist mein Tagesablauf für die Katz. Geh ich hin, komm ich nicht zum Füße hochlegen und ausruhen.
Ich weiß langsam nicht mehr, wie das weitergehen soll. Bis Oktober schien das mit dem arbeiten eigentlich ganz gut zu funktionieren und dann kam meine Erkrankung und brachte wieder alles durcheinander. Wie finde ich eine Work-Life-Balance, wenn ich nie vorhersagen kann, wie es mir am nächsten Tag, in der nächsten Woche oder den gesamten Monat über geht?
Sollte jemand Ideen haben, wie man als Selbstständige, eine funktionierende Balance aufbauen kann, nehme ich Tipps liebend gern entgegen. Denn ich kann aktuell nur den Kopf kratzen, mich dauerhaft fragen, wie das gehen soll und versuchen die Zähne zusammen zu beißen.
Oder mir eine Festanstellung suchen… aber dafür lieb ich meinen Job eigentlich zu sehr.