Seit Wochen bin ich müde. Einfach den ganzen Tag müde. Eigentlich schon seit Monaten.
Wisst ihr, wenn man das erste Mal Infos zu Endometriose liest, dann wird ganz oft gesagt, dass es viele verschiedene Stadien sind, durch die man durchgeht. Das es sich gefühlt monatlich ändert, was die Endometriose gerade mit einem macht. Physisch und psychisch. Ich kann das nach 1 1/2 Jahren bestätigen. Seitdem gab es den Verdacht; die Untersuchungen; die OPs und schlussendlich die Diagnose.
Montag ist es soweit. Montag werde ich zum dritten Mal in 16 Monaten operiert. Zwei Endometriose-Sanierungen inklusive Darmteilresektion liegen hinter mir, eine Endoskopie um nach der Blase zu schauen, liegt vor mir.
Ich war mir noch nie so unsicher etwas zu tun, wie dieses Mal. Seitdem ich den OP-Termin habe, möchte ich die OP auch wieder absagen. Ich hatte seit November Zeit über diesen Eingriff zu grübeln und ich kann euch eines sagen: Diese unendliche Wartezeit hat es definitiv alles andere als leicht gemacht. Im krassen Gegenteil. Jeden Tag möchte ich das Handy nehmen, die eingespeicherte Nummer meiner Klinik wählen und den Termin absagen. Ich fühle mich so unfassbar unsicher, ob dieser Weg wirklich der richtige ist, oder ob ich nicht gerade alles schlimmer mache.
Mein operierender Arzt kann sich nicht vorstellen, dass die Symptome wirklich einen guten Grund haben werden. Sein Tipp sind Vernarbungen. Was ist, wenn diese nun behandelt werden und danach alles nur noch schlimmer ist? Mit jeder OP steigt das Risiko, dass die Vernarbungen und Verwachsungen immer schlimmer werden. Das ist leider die Realität von Endometriose. Da wird nichts besser umso öfter man sie bekämpft. Es wird nur schlechter und schlechter von OP zu OP.
Hinzukommt, dass ich seit dem Termin kaum noch Schmerzattacken habe. Zumindest rede ich mir dies ein.
Seit der OP am 26.11.2020 kämpfe ich mit Schmerzen an der Blase. Ganz ursprünglich tat halt alles weh. Wen wundert es? Befall an der Gebärmutter, den Eierstöcken, Harnwegsleitern, Blase, innere Bauchdecke und am Darm. Wer weiß, was ich jetzt noch vergessen habe.
Da tut einem erstmal alles weh, wenn an all den Stellen herum geschnippelt wird.
Zusätzlich hatte ich anfangs kein Gefühl mehr über meine Blase. Ich konnt zwar zum Glück noch einhalten, aber ob die Blase voll oder leer war, habe ich nicht gefühlt. Folglich war ich teils 10-20x in einer Stunde auf dem Klo. Um sicher zu gehen, dass keine Unfälle passieren. Das hat mit der Zeit nachgelassen.
Was geblieben ist, sind die Schmerzen.
Nach dem Toilettengang, vor dem Toilettengang, beim sitzen, liegen, stehen. Eigentlich immer. Meine Blase fühlt sich konstant an, als würde Druck auf ihr lasten. Meine Routine sieht vor, dass ich morgens direkt nach dem aufstehen auf‘s Klo gehe, weil ich sonst kaum laufen kann vor lauter Druck und Schmerz. Abends ist es andersherum. Die letzte Amtshandlung ist der Klogang, selbst Körnerkissen und co wird vorher schon bereit gemacht, so dass ich vom Klo direkt ins Bett gehen kann. Wenn ich direkt einschlafen kann, halt ich es zwischen 3 und 8 Stunden aus, abhängig davon, wie viel ich am Abend getrunken habe. An schlechten Tagen muss ich nachts 2-4x aus dem Bett raus, weil die Blase dann so drückt, dass es richtige Schmerzen bereitet.
Schmerzen. Tja, wie erklärt man die?
Meinem Klinik-Gyn gegenüber hab ich es wie folgt gesagt: „Ich weiß nicht, wie sich eine Messerstecherei anfühlt, aber ich glaube, so in etwas müsste es wohl sein. Als würd mir jemand 20 Messer gleichzeitig von unten in die Blase rammen.“
Wie sonst willst du solche Schmerzen beschreiben? Welche, die dich wach halten oder machen. Die dir unendliche Angst bereiten, wenn keine Toilette in der Nähe ist. Die so schlimm sind, dass Augenblicke nachdem du dich auf‘s Sofa bei deiner Freundin gesetzt hast, du wie von der Tarantel gestochen aufstehen musst, weil die Blase so höllisch schmerzt, auf Grund deines Toilettengang zwei Minuten zuvor.
Wenn ich das so schreibe, wird vermutlich jeder sagen: „Marie, wo ist das Problem? Das sind doch wohl genug gute Gründe für die OP um abzuklären, was da los ist.“
Vor ein paar Monate war ich da auch noch sicherer, dass es wirklich richtig ist.
Dann ließen die krassen Schmerzattacken wieder nach und irgendwie wurde es Routine. Die Schmerzen, die ich tagtäglich habe, bin ich gewöhnt. Dafür lohnt sich keine OP. Also eigentlich schon, weil man den Grund nicht kennt, aber vom Schmerzlevel her ist es Quatsch dafür zu operieren.
Und dann merke ich, während ich am Sinn der Op Zweifel, dass es doch eigentlich total Sinn macht. Ich bin 14 Jahre mit höllischen Schmerzen durch‘s Leben gegangen und als dann endlich mal ein Arzt nachgeschaut hat, waren meine Organe zerfressen von Endometriose. Teilweise steht immer noch auf der Kippe, ob das alle Organe überleben werden. Teile hat‘s mir ja eh schon gekostet.
Will ich das wirklich wieder soweit kommen lassen, nur weil meine tagtäglichen Schmerzen „nicht schlimm genug sind“? Eigentlich doch nicht. Aber die Angst, dass nichts gefunden wird, ist echt groß.
Und was erzählt man dann Leuten, die nachfragen? „Ja, du, also weißte… ich hatte eine OP für nichts. Da ist nichts und ich muss damit leben. Und mich jetzt trotzdem von einer Bauch-Op erholen.“
Ich weiß, am Ende bin ich niemandem Rechenschaft schuldig, wenn ich merke, dass mich Schmerzen so belasten, dass ich sie abgeklärt haben will. Und nein, das muss niemand verstehen oder nachvollziehen können. Es steckt niemand in meinem Körper und somit weiß niemand, wie sich das für mich anfühlt.
Trotzdem belastet es mich. Vielleicht auch nicht nur, weil ich mich frage, wie man das anderen erklärt, sondern besonders weil ich weiß, was das für mich bedeutet. Ich muss weiterhin mit den Schmerzen leben, die keinen ersichtlichen Grund haben und bei denen man nicht viel anderes tun kann, als Schmerzmittel zu nehmen, alternative Therapien wie Physio und Osteopathie zu probieren, und vor allem es einfach zu ertragen. Soll das wirklich meine Zukunft sein? Ich bin 27 Jahre alt.
Seit Jahren habe ich mich gefragt, ob die monatlichen Schmerzen, die sich wie Folter anfühlten, wirklich meine Zukunft sein sollten. Jetzt weiß ich: Vielleicht nicht diese Art von Schmerz, aber ja. Schmerzen, Ungewissheit, Angst und Frust werden meine Zukunft sein.
Ich merke, wie ich nicht mehr will. Ich will das alles einfach nicht mehr ertragen müssen. Ja, die Endometriose hat meine Depressionen und co in den letzten Monaten soweit getriggert, dass ich mich manchmal in Gedanken erwische, in denen ich mir ausmale, was ein Suizid alles an Erleichterung für mich bringen würde. Wie mein Umfeld damit umgehen würde. Ob irgendwer dafür Verständnis haben könnte und ob am Ende trotzdem alle bunt gekleidet zu meiner Beerdigung kämen, um mich ein letztes Mal zu feiern.
Und so sitze ich hier, 7 Stunden vor meinen Blut- und Urinuntersuchungen, dem Covid-Test und meiner Anästhesie-Aufklärung. Schlaflos. Voller Gedanken. Ängste. Sorgen. Und der Frage: Wofür das alles?
Der Grund, warum ich mir nicht das Leben nehme? Weil ich wenigstens das Ergebnis der OP haben will. Ich will wenigstens gehört haben, was da ist oder eben nicht ist. Von da an kann ich neu entscheiden. So doof das für viele klingen mag: Aber es sind die kleinen Felsen an die man sich festklammern muss. Von Felsen zu Felsen hangeln ist das Motto.
Im besseren Fall finden sie was. Im schlechteren Fall nicht. Und für den zweiten Fall hab ich schon mal viele Telefonnummern raus gesucht. Osteopathie mit Gyn-Schwerpunkt, Psychotherapie wo ich auf der Warteliste stehe, meine Gyn… Ich hab mir jetzt schon alle möglichen Anlaufstellen rausgesucht, damit es im Zweifelsfall nur noch einen Anruf benötigt und keine aufwendige Suche, wer mir helfen könnte.
Nach über 14 Jahren psychischen Erkrankungen lernt man seine Tricks. Wenn es dir halbwegs gut geht, mach dich auf die schlechten Tage gefasst. Bereite alles vor, was dir durch die schlechte Zeit helfen kann. Denn wenn du erstmal drin steckst, wirst du nicht mehr in der Lage sein, klar und rational zu denken. Da wird sich alles nur noch groß und schwer anfühlen.