Therapie, find ich super…

„Was nehmen Sie aus dieser Stunde mit?“

„Das gleiche wie bei den beiden vorherigen Stunden: Es war die richtige Entscheidung eine Therapie anzufangen. Ich freu mich richtig auf die Stunden, weil ich jedes Mal aus der Tür gehe und ein großes „Ufff“ aus mir entweicht. Gefolgt von einem Lächeln.“

Wie absurd… ich, die vor Jahren noch gesagt hat, dass mich kein Therapeut jemals wieder sehen wird, weil ich in zwei Kliniken nur doofe Erfahrungen gemacht habe. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie war zwar während des Aufenthaltes alles gut, danach fehlte aber jedes Netz, das mich hätte auffangen und weiter bringen können. Mir ging’s danach also schlechter als vorher.

Tja… und die Erwachsenenpsychiatrie… was soll ich sagen? Wenn das längste Gespräch in 11 Tagen Krisenintervention nur 3 Minuten geht, dann läuft da in deren Klinik viel schief. Zu viel.

So hab ich also mit Anfang 20 das Fazit gezogen, dass Therapien bestimmt eine total tolle Sachen sein können, für mich nur leider nicht funktionieren sollten.

8 Jahre später, zwei Wochen nach meinem 8 Jährigen „Jubiläum“ (wir brauchen mal einen guten deutschen Ausdruck dafür. „Suizidüberleben“, oder „Jubiläum eines Suizidversuchs“ klingt einfach doof.) sitze ich also zum ersten Mal in einer Therapiesitzung, die ambulant stattfindet.

Es passt! Meine größte Angst, man könnte 16 Monate warten und dann passt es nicht, hat sich nicht erfüllt. Die Therapeutin ist sympathisch und hat die genau richtige Art. Hinzu kommt der Glückstreffer, dass sie selbst eine Freundin mit Endometriose hat. Ich muss ihr nicht erklären, was diese Erkrankung bedeutet und mit sich bringt. Ein Belastungsfaktor weniger.

Ich erkläre Leuten liebend gerne was Endometriose ist, wenn sie es nicht wissen. Allerdings bringt das immer ein Problem mit sich: Du kannst dich nicht über deine persönlichen Gefühle diesbezüglich unterhalten, weil die Leute es einfach überhaupt nicht nachvollziehen können, was diese Erkrankung mit Menschen macht. Leute, die es selbst haben, oder enge Angehörige mit Endometriose haben, die erleben, was die Erkrankung mit einem machen kann. Die wissen, was das für eine Last ist. Da kann man ganz anders über Gefühle sprechen.

Wir haben in den ersten drei Sitzungen vieles besprochen. Besonders meine größten Baustellen. Ängste, die Endometriose, und vieles anderes. Und wir haben die ersten Probleme mal in Einzelteile zerlegt und durch gesprochen, was die verschiedenen Dinge bedeuten, woher sie kommen und wie ich damit umgehen könnte.

Ich muss jetzt nicht sagen, wie absurd das ist, wenn man nach Jahren mal wieder in eine große Shopping-Mall geht, weil die Therapie einen dazu beflügelt. Meine Therapeutin hatte damit wohl auch nicht gerechnet. Gut, ich habe ihr noch nicht erzählt, was für ein Kampf die Fahrt dahin war. Ich bin von meinen Eltern aus dort hin gefahren und auf dem Weg hätte ich 20463 Abzweigungen nach Hause nehmen können. Ich habe jede einzelne als mögliche Option für mich gesehen, irgendwann Panik in mir aufsteigen gemerkt und mich am Ende aber doch richtig Shopping-Mall gebracht, obwohl da tausende Ängste in mir waren.

Ich könnte noch viele, viele Dinge hier niederschreiben, die mir besprochen haben. Fakt ist allerdings, dass Therapie nicht nur schöne und rosa Wolken sind, sondern auch weh tut. Jede Stunde knibbel ich an den Fingern und heule früher oder später wenigstens einmal, weil Dinge ausgesprochen werden, die ich viele viele Jahre mit mir herum schleppe und doch nie so äußern kann, wie sie mir auf der Seele liegen. Und genauso wenig mag ich gerade in Details gehen, wenn es um die Thematik mit meiner Mutter geht. Nur so viel: Das, was ich jahrelang immer für mich wusste, dass meine Mutter eine absolut toxische Mutter war/ist, das wird leider schon nach wenigen Stunden bestätigt. Und das tut weh. Das tat immer schon weh, tut aber noch mehr weh, wenn es jemand vom Fach bestätigt. Denn irgendwie hofft man doch immer drauf, dass man selbst einfach überreagiert, oder seinen Teil dazu beiträgt. Fakt ist aber: „Ja, da haben sie Recht, solche Worte sollte niemand zu hören bekommen. Egal von wem, aber ja, von der eigenen Mutter kann es noch schmerzhafter sein.“ Und wenn deine Therapeutin bestätigt, dass man solche Worte niemandem an den Kopf wirft, dann weißt du, dass du wirklich nie die fürsorgliche, liebe und immer supportende Mutter hattest, die in unserer Gesellschaft immer als Idealbild einer Mutter gezeigt wird. Das zu wissen, tut weh. Daran kann ich leider nichts schön reden. Es tut einfach nur weh.

Ich freue mich, das alles mal raus lassen zu dürfen und nicht Angst vor Verurteilung haben zu müssen. Ja, das erste mal in meinem Leben kann ich die Angst liegen lassen. Sie ist da, immer im Raum, doch jedes Mal, wenn ich mich solchen Gedanken überkommen, wie z.B: „was muss sie nun denken, wenn ich an meinen Fingern knibbel?“, dann sage ich mir innerlich immer wieder: „Wenn nicht hier, dann nirgends. Diese Frau ist die letzte, die dich verurteilen wird. Dafür ist die schließlich hier und wird dafür auch noch bezahlt. Dir diese Angst zu nehmen, bzw sie zumindest im laufe der Zeit kleiner zu machen.“

Und ich kann euch gar nicht sagen, wie gut sich das anfühlt, einmal in die Woche, nach über 14 Jahren permanenter Angst was Leute über mich denken könnten, für eine Stunde keine Angst haben zu müssen.

Ich freu mich auf das was da noch kommen wird… und bin gespannt auf die Tiefen, die eine Therapie mit sich bringen kann. Wird eine interessante Erfahrung, die ich mit 28 Jahren nochmal machen darf. In der Hoffnung, dass sie die beste von allen therapeutischen Erfahrungen wird.

Veröffentlicht von Kleinekaeferin

28. Freiberuflich im Zirkus unterwegs und über die Hälfte ihres Lebens psychisch erkrankt. Bedingt durch das Jahr 2020 geht es vor allem um Corona, meine Endometriose-Diagnose und alles, was sonst so passiert ist. Alle Gedankengänge, die für Instagram zu lang sind, kommen in Zukunft hier hin.

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